Im Münsterland, einer historisch sehr konservativ geprägten Region Deutschlands, gibt es noch den Spruch: „Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.“
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Was bisher geschah: Im Teil I meiner kulinarischen Entdeckungsreise streife ich durch die Marktgassen Münsters. Dabei erlebe ich so manche Überraschung. Zudem lerne ich wichtige Pioniere des Marktes am Dom, aber auch dem weiteren Münsterland kennen, die für diesen zweiten Abschnitt noch einmal wichtig werden sollen. Mehr dazu am Ende.
Münster, Wochenmarkt am Dom, 13 Uhr an einem sonnigen Frühjahrstag.
Ich brauche jetzt erst einmal ein Wasser und laufe die Imbissbuden an den Mauern des Doms ab. Kaum ein Durchkommen mehr, ich fühle mich fast wie auf einer Kirmes. Besonders erstaunlich, dass mittlerweile durchaus bunt gemischte Publikum. Wo ich in den Marktgassen des Morgens, wenn überhaupt, höchstens ältere Besucher gesehen habe, tummeln sich nun auch Familien mit Kindern, Studenten. Dazwischen auch ein paar Pulks Touristen. Ich hole mir mein Wasser und sortiere an einem der letzten freien Stehtische im Schatten des Doms meine Videos und Fotos.
Auf zur Altstadt-Tour
Gleich geht es schon wieder weiter für mich. Nun heißt es “Kulinarische Altstadtführung” mit k3 stadtführungen. In kurzer Zeit möchte ich noch einmal so viel wie möglich sehen. Vom Markt aus geht es für mich jetzt wieder zur Lambertikirche. 14 Uhr, Ecke Prinzpalmarkt/Salzstraße, Treffpunkt für die Altstadtrunde. Guide Julia Großekathöfer stellt sich vor. Neben ihrem Studium hat sie Gefallen an der Historie Münsters gefunden. Das liegt auch nahe, denn sie studiert Geschichte. Gerade erst Mitte 20 mag die gebürtige Gütersloherin mittlerweile nicht mehr aus Münster wegziehen.
Wir ziehen mit einer Truppe aus 15 probierfreudigen Menschen aus Nah und Fern nun von Restaurant zu Restaurant. Auf dem Weg zur unserer ersten Verkostung frage ich natürlich nochmal nach, was unser Altstadt-Guide denn vom Wochenmarkt hält. Julia lächelt und sagt: ”Ja klar, der Markt ist DER Treffpunkt am Samstagmittag.” Währenddessen schaut sie kurz zurück und leitet die Gruppe in Richtung ehemaliger Stadtmauer. Ich hake noch einmal nach, wie es dem Wochenmarkt denn gelingt so viele junge Leute anzulocken: “Es gibt eben ganz gute Angebote, die sich unter Studenten rumgesprochen haben. Kennst du die Käsetüte?” Ich lache und nicke, sie fährt fort: “Außerdem natürlich der soziale Aspekt. Sich auf ein Käffchen zu verabreden, dann weiter in die Stadt oder so. Das ist schon sehr üblich. “
Wir erreichen das Restaurant “Torhaus Einhunderteins”. Ein Überbleibsel der Stadtbefestigung vergangener Tage. Heute ist die im 17. Jahrhundert zur “Promenade” umgebaute Wallanlage ein großzügiger Fahrradweg und Grünstreifen. Das 1827 errichtete Torhaus war ehemals einer der wichtigen Eingangspunkte für die Händler und Bauern, welche nach Münster hereinströmten. Sicher auch für den ein oder anderen “Kiepenkerl”, höre ich bei den Schilderungen von Julia heraus.
Kiepen… was?
Kiepenkerle waren ehemals umherziehende Händler mit einer Rückentrage aus Holz, der sogenannten Kiepe. Sie fungierten als Händler zwischen Stadt und Land. In den Städten wie Münster wurden landwirtschaftliche Frischwaren von Haus zu Haus gebracht. Die Münsterländer Bauern wurden hingegen versorgt mit Gewürzen, allerlei Kleinigkeiten und auch den Neuigkeiten aus der Stadt.
Ich erinnere mich zurück an den Montag der Woche, zu Besuch im Restaurant “Kleiner Kiepenkerl”. Das Kiepenkerl Denkmal auf dem Vorplatz ist dieser Tage umsäumt von Kerzen in Gedenken des schrecklichen Anschlags. Das Lokal hat jedoch zügig wieder geöffnet, um zur Normalität zu finden. Dort im Kleinen Kiepenkerl habe ich, als Vorgeschmack auf die Woche, drei der immer wieder auftauchenden Speisen meiner Vorab-Recherche probiert.
Töttchen als kleine Vorspeise; mehr dazu an späterer Stelle. Im Hauptgang “Spargel westfälisch” (mit Knochenschinken, Kochschinken, Kartoffeln und flüssiger Butter). Als Dessert eine Herrencreme mit ordentlich Rum.
Eine leckere Abfolge im stilvollen Ambiente eines antiken Wirtshauszimmers. Auch ein paar Annette von Droste-Hülshoff Portraits dürfen nicht fehlen.
Auf einem Bild steht der Spruch der Dichterin: “Ich bin ein Westfale, und zwar ein Stockwestfale, nämlich ein Münsterländer – Gott sei Dank! füge ich hinzu…”.
Ich frage Blogger Freundin Patricia, die heute Abend mit mir isst, ob man den Spruch noch so gelten lassen kann. Patricia studiert seit vier Jahren in Münster und muss schmunzeln: “Naja, ganz so engstirnig sind die Leute sicher nicht mehr hier. Ich finde Münster ist eine weltoffene Stadt heutzutage. Auch was das Essen angeht.“
Ob Patricia da wohl an Lokale wie das „Torhaus Hunderteins“ und die „Belegbar“ gedacht hat? Dort treibt es mich nämlich jetzt im weiteren Verlauf der kulinarischen Tour hin. Im Torhaus verkosten wir Butterbrote mit trendigen Aufstrichen, in der Belegbar individuell gefüllte Pfannekuchen und abermals kreative Stullen! Ich stelle fest: Einfache, bodenständige Gerichte ja, aber mit modernen Einschlag – das scheint im Münsterland zu laufen. Den Eindruck hatte ich schon bei Thomas Kliewe im Westfälischen Hof, als er mir sagte:
“Mit eingestaubten Rezepten locken wir hier niemanden hinterm Ofen hervor. Da muss man dann auch so konsequent sein und es auf der Karte durchziehen. Auch wenn vielleicht alle paar Wochen dann doch mal ein Toast Hawaii oder sowas gewünscht wird.”
Stattdessen locken neben gut laufenden Klassikern (beispielsweise Krüstchen, Filetpfännchen) auch westfälische Tapas oder mediterraner Kartoffelsalat.
Noch einmal Töttchen bitte…
Die Uhr an der Lambertikirche zeigt mittlerweile schon 16 Uhr. Wir biegen ab zum Prinzipalmarkt und laufen am Rathaus vorbei durch bis zum “Toeddenhoek”. Eine der Traditionsgaststätten in der Münsteraner Altstadt seit 1956. Keine Spur von trendigen, hippen oder bunten Design mancher Restaurants zuvor. Hier ist die Zeit einfach stehen geblieben. Ein uriges Wirtshaus, wie es im Bilderbuch steht. Guide Julia empfiehlt uns die Münsterländer Speise schlechthin.
“Töttchen solltet ihr mal gegessen haben. Es ist zwar absolut keine Augenweide, aber eigentlich echt lecker!”
Sie schaut einmal durch die kulinarische Runde und blickt in allseits skeptische Gesichter. “Aber keine Sorge. Heutzutage ist das ja eher ein würziges Kalbsfleisch-Ragout. Früher kamen hingegen reichlich Innereien und sogar Kalbskopf mit in das Töttchen.“ Ein Moment des Schweigens, dann angeregte Diskussionen am Tisch. Die Kellnerin kommt und siehe da. Einer nach dem anderen folgt Julias Ratschlag: “Einmal Töttchen bitte.”, schallt es reihum.
Die anschließende Wartezeit nutze ich, um mich umzuschauen. Die Theke im Toeddenhoek ist erstaunlicherweise am helllichten Nachmittage recht gut besetzt. Ich frage direkt mal nach bei der Kellnerin und sie erklärt: “Das ist irgendwie gute Tradition hier. Die Männer gehen nach dem Marktbesuch bei uns ein Bierchen trinken, während die Frauen noch eben ein paar Besorgungen in der Stadt erledigen.” Ein kleines Zwischenfazit: So modern die Metropole des Münsterlandes ansonsten ist, manche Gewohnheiten überdauern wohl immer noch, denke ich mir.
Zurück am Tisch folge ich wieder den Worten Julias: “Natürlich essen die jungen Leute heute nicht mehr so deftig, wie früher einmal. Aber es ist schon irgendwie so, dass man als Neuankömmling in Münster dieses Gericht mal gegessen haben muss.” Aus der Runde aus wird eingeworfen, dass es ja sicher auch ein gutes Katerfrühstück sei.
Wir ziehen noch einmal weiter, vom Töddenhoek aus in die Königstraße weiter gen Süden Richtung Arkaden. Zum Abschluss der kulinarischen Altstadt-Tour an diesem wunderbar-warmen Frühjahrstag gibt es jetzt noch ein Frozen Yogurt. Kurz vor halb sechs, Julia bedankt sich höflich und ist sichtlich erfreut über die kommunikative Runde des heutigen Tages.
Vom Essen zum Münsteraner Bier
Für den Abend hole ich mir noch schnell ein paar Kneipentipps, schließlich gehören die Getränke auch zur Kulinarik einer Stadt. “Hier in Münster gab es einmal über 150 Altbierbrauereien. Nur die Pinkus ist übrig geblieben.”, schildert Julia und weist mir den Weg: “Einfach Richtung Überwasserkirche, am Rosenplatz abbiegen. In der Kreuzstraße ist schon noch ordentlich was los.”
Moment mal. Wo ist eigentlich mein Fahrrad? Fast hätte ich es vergessen. Mein Rad ist ja seit heute Früh am Domplatz angekettet. Von der Lambertikirche kommend laufe ich nun einmal quer über den mittlerweile, wie leergefegten Domplatz. Um halb Sechs am späten Nachmittag ist hier keine Spur mehr vom Marktrummel. Auch mein Fahrrad an der Domplatz-Bushaltestelle kann ich nun wieder problemlos finden. Ich rolle die Gassen leicht abschüssig hinunter zur Überwasserkirche. “Pinkus Müller” in wenigen Metern fast vor Augen denke ich zurück an die “Finne Brauerei”, wo ich bereits am Mittwoch zu Besuch war.
Eines Nachmittags im Münsteraner Kreuzviertel, ich bin mir nicht ganz sicher ob ich den richtigen Standort ins Handy eingegeben habe. Im unmittelbaren Umfeld sehe ich nämlich rein gar keine Gastronomie. Doch dann als ich in die Kerßenbrockstraße abbiege, sehe ich auf einmal wie aus dem Nichts einige Holzbänke zwischen all den Längsparkplätzen, die ansonsten das Straßenbild dieses Wohnblocks prägen. Hier muss ich richtig sein.
Mitbegründer der Brauerei Florian Böckermann erwartet mich bereits. Der 35-Jährige sitzt an einer der rustikalen Naturholz-Sitzgarnituren, ist allerdings noch vertieft in sein MacBook. Als er mich in das “Brew-Pub” eintreten sieht, begrüßt er mich sogleich freundlich. Ich führe mit Florian ein lockeres Interview für meinen Podcast über die Herausforderungen und Besonderheiten eines Bio-Craft-Beer-Herstellers. In seinen Worten spüre ich enorme Begeisterung und die Leidenschaft, die hinter seiner Idee steckt.
Der promovierte Betriebswissenschaftler saß, vor der Finne Gründung im Jahre 2016, eigentlich fest im Sattel bei einem Trailerhersteller. Während einer USA Reise packte ihn und seinen Kumpel Frank, die bereits leidenschaftliche Hobby-Brauer waren, jedoch die Craft Beer Szene.
“Andere nehmen sich ihr Sabbatjahr. Wir gründeten eben eine Brauerei.”, erzählt der junge Unternehmer.
Die Finne Brauerei ist bereits gut etabliert. Trotz deutlich höherer Preise laufen die Geschäfte. Kooperationen mit anderen Bio-Herstellern, wie Voelkel (Frucht- und Gemüsesäfte) oder der Hafenkäserei in Münster, sind bereits gestartet und sollen erweitert werden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Trendiges Craft Beer knüpft also an die Biertradition vergangener Tage an. So wird am Abend meines Besuches ein Pub-Quiz zur der Bier-Historie Münsters veranstaltet.
18 Uhr und immer noch angenehme Temperaturen über 20 Grad. Ich passiere mittlerweile die Überwasserkirche und gelange zum “pickepacke-vollen” Biergarten auf dem Vorplatz von “Pinkus Müller”. Ich zücke direkt mal mein Handy, um ein paar Hintergründe über die Brauerei zu erfahren.
Die Geschichte der Pinkus Müller geht zurück bis in das Jahr 1816 und wird nunmehr in siebter Familiengeneration erfolgreich betrieben, recherchiere ich. Wo früher einmal 150 Altbierbrauereien das Bild der Stadt prägten ist heute nur die Pinkus übrig geblieben. Ein Erfolgsfaktor, der in den Berichten immer wieder auftaucht, ist eine tiefgreifende Entscheidung von Hans Müller, dem Patron der Brauerei nach Carl “Pinkus” Müller. Geschäftsführer Hans Müller besitzt bereits Anfang der 1980er-Jahre den Pioniergeist den Braubetrieb auf Bio-Biere umzustellen. Damit ist Pinkus damals die erste Bio-Brauerei in ganz Deutschland und sogar weltweit.
Heute ist die Konkurrenz zwar größer, doch Pinkus hat sich im Bio-Großhandel etabliert. Derzeit klappt das sogar (noch) ohne großartiges Marketing, von cooler Social Media (wie bei Finne) mal ganz zu schweigen. Neben dem klar regionalen Fokus, wird das Münsteraner Bier aufgrund seines starken Rufes auch erfolgreich in die Welt exportiert. Andererseits bin ich beim Blick auf das Publikum skeptisch, warum sich das als „Altbierküche“ bekannte Stammhaus der Brauerei immer noch damit schmückt ein Studentenlokal zu sein. Junge Leute sind hier doch eher rar gesät, auch wenn der Biergarten voll ist, mir sogar zu voll in diesem Moment.
Die Puzzlestücke meiner kulinarischen Reise
Etwas viel Trubel nach dem erlebnisreichen Tag. Ich kehre schließlich nur wenige Meter weiter im “Blauen Haus” an der Kreuzstraße ein. Um mittlerweile halb sieben ist dieses Kneipenrestaurant zwar auch recht belebt, doch an der Theke bekomme ich noch gut einen Platz. Ich bestelle mir eine Altbierbowle und lasse den heutigen Tag Revue passieren. Das kulinarische Puzzle setzt sich mehr und zusammen. Erst recht, wenn ich die “Puzzlestücke”(Erlebnisse) aus den Vortagen mit hinzunehme.
Sehr viele schöne Bilder schmücken nun meine kulinarische Landkarte des Münsterlands. Von Langeweile keine Spur, denn der Münsterländer schaut längst über die Grenzen seiner Heimat hinaus. Das ist auch gut so. Mit einem einfachen “weiter so” ist es nämlich nicht getan auf Seite der Erzeuger und Gastronomen. Das zeigt schon allein das Sterben der Altbierbrauereien in Münster. Es gilt die Zeichen der Zeit zu erkennen oder noch besser: wie Pinkus damals mit der frühzeitigen Umstellung der Produktpalette, schon heute die Trends von morgen zu erahnen.
Aus den Erfahrungsberichten einiger Protagonisten erahne ich auch, wie schwer es sein kann neue Ideen ins Leben zu rufen. Pioniere der Region – Sie mussten sich für verrückt erklären lassen, doch eigentlich sind sie die wahren Helden. Ich habe einige kennenlernen dürfen.
Das Münsterland birgt Vorreiter in unterschiedlichsten Bereichen der Kulinarik. Ganz gleich ob Bio-Craft-Beer, ob mediterrane Kost oder eben auch westfälische Küche für junge Leute – ich habe gesehen, dass das in und um Münster bestens funktionieren kann. Eine hohe regionale Verbundenheit der Menschen schadet nicht, wenn landwirtschaftliche Erzeuger, Händler und Gastronomen diese Werte zu ihrem Vorteil nutzen.
Im Gegenteil “regional & lokal” ist wieder in Mode gekommen. Die Region bietet eben auch beste Bedingungen, dass es nicht bei einem ungeprüften Werbespruch bleibt, schließlich liegen die Felder nicht weit von der Haustür. Auch gewinnen Menschen alleine durch den direkten Austausch, wie auf dem Wochenmarkt oder mit den Gastronomen im Restaurant, großes Vertrauen. Schließlich kann nicht jeder Münsterländer den Olivenbauern in der Provence auch einmal persönlich besuchen oder eine Craft-Beer-Tour bei amerikanischen Szene-Brauereien machen.
Ich denke noch einmal zurück an die Worte von Thomas Kliewe vom Westfälischen Hof: “Bei neuen Dingen, sind die Münsterländer vielleicht erst einmal skeptisch. Aber: Wenn die Qualität stimmt und wir ein bisschen dazu erzählen können, dann sind die Menschen auch schnell begeistert.”
Das war mein kulinarischer Rundgang durch Münster… und was bleibt?
Ich kann mich den Worten Thomas Kliewes nur anschließen und denke mir: Frische Kulinarik braucht frische Ideen. Den letzten Schluck Altbierbowle im Glas und die urigen Wirtshaus-Eindrücke vor Augen steht für mich aber auch fest: Nicht immer muss das Rad komplett neu erfunden werden. Hauptsache der Blick zielt nach vorne und die alte Holztheke, wie hier im Blauen Haus, staubt nicht ein!
Dieser Artikel entstand im Rahmen der Pressereise „Entdecke Dein Münsterland“ auf Einladung vom Münsterland e.V. und dem Journalisten-Zentrum Haus Busch.